“Das Märchen vom intuitiven Essen”: Warum damit nur wenige abnehmen (und viele sogar zunehmen)

Oft treffe ich Frauen in meinen Erstgesprächen, die eine wirklich schwere Enttäuschung erleben mussten. Sie alle haben versucht mit intuitivem Essen abzunehmen.

Kein Wunder – viele stecken in einem richtigen Teufelskreis fest. Der sieht ungefähr so aus:

Diät > Jojo-Effekt > eine andere Diät > Jojo-Effekt > noch eine neue Diät

Ständig werden die gleichen Kilos verloren – und oft kommt danach die unaufhaltsame Zunahme. Egal welche Diät – egal welches Konzept.

Das kann richtig zermürbend sein.

Da klingt intuitives Essen wie die Rettung.

Ohne eine Diät zu deinem Wohlfühlgewicht – keine Kalorien zählen, keine Regeln oder Verbote. Das essen was du gerade willst – und trotzdem abnehmen. Das soll funktionieren über Selbstliebe und mehr auf die eigene Intuition zu hören.

Angeblich würden natürlich schlanke Menschen genau so schlank bleiben – die zählen ja auch keine Kalorien oder machen tausend Diäten.

So sollen wir unser Wohlfühlgewicht erreichen – ohne Angst vor Heißhunger oder ständiger Gewichtszunahme.

Zuerst klingt das Versprechen toll. Du fängst an voller Begeisterung – “Ja das ist es jetzt”. Du sprichst die Affirmationen aus – hörst religiös die Hypnose Dateien. Du vertraust. Du glaubst. Du isst ganz frei.

Wahrscheinlich geht es dir wirklich besser – du fühlst dich zumindest erleichtert. Dann steigst du aber nach Monaten auf die Waage und erschreckst dich zu Tode. Statt abzunehmen, hast du mehrere Kilos zugenommen.

Schlechte Erfahrungen mit intuitivem Essen

Tatsächlich ist das nicht die Ausnahme – sondern (nach meinen Beobachtungen) eher der Regelfall. Manche berichten mir sogar von der größten, plötzlichen Zunahme, die sie je erlebt haben.

Als Video findest du den Beitrag hier:

Im Artikel findest du heraus:

  • warum viele gar keine Wahl haben als damit zuzunehmen (z. B. von “natürlich schlanken Menschen” lernen zu wollen, ist so wie von “reichen Erben” Geld verdienen, lernen zu wollen)
  • warum hinter “Selbstliebe” oft toxische Positivität steckt
  • was ich statt intuitivem Essen empfehle, um dauerhaft abzunehmen (auch ohne lebenslang Kalorien zu zählen)

Was ist intuitives essen? (“intuitive eating”)

Es ist eine Herangehensweise an Essen und Gesundheit, die von 2 Ernährungsberaterinnen aus den USA entwickelt wurde: Elyse Resch und Evelyn Tribole.

Bei einer intuitiven Ernährungsweise steht ein gesundes Verhältnis zum Essen und zum eigenen Körperbild im Mittelpunkt – und tatsächlich nicht die Abnahme.

Es steht vor allem im Kontrast zur “Diätkultur”, in der ein schlanker Körper durch Verzicht und Restriktionen als Maß aller Dinge gesehen wird.

Es ist also vor allem eine Art Gegenbewegung – sie ist gegen Diäten.

Wofür ist intuitives Essen entwickelt worden?

Es ist als eine Lösung für zu restriktives Essverhalten entwickelt worden – prinzipiell als Lösung dafür ständig auf Diät zu sein. Viele Menschen und dabei insbesondere viele Frauen schränken sich ihr Leben lang ein. Sie sind andauernd auf Diät. Und reagieren mit immer wiederholenden Fressattacken darauf – oder werden von ständigen Gedanken rund ums essen gequält, wie “Darf ich das noch essen? Was kann ich als Nächstes essen?”

Richtlinien fürs intuitive Essen

Fürs intuitive Essen im Original gibt es einige Richtlinien.

Auf englisch:

  1. Reject the Diet Mentality
  2. Honor Your Hunger
  3. Make Peace with Food
  4. Challenge the Food Police
  5. Discover the Satisfaction Factor > lernen wann es genug ist
  6. Feel Your Fullness
  7. Cope with Your Emotions with Kindness
  8. Respect Your Body
  9. Movement—Feel the Difference
  10. Honor Your Health—Gentle Nutrition

Die 10 Grundpinien werden hier auf englisch genauer erklärt.

Auf deutsch könnte man sie wie folgt übersetzen:

  1. Leg die Diätmentalität ab
  2. Ehre deinen Hunger
  3. Schließ mit deinem Essen Frieden
  4. Wehre dich gegen deine Lebensmittel-Polizei
  5. Entdecke die Zufriedenheit
  6. Fühle deine Sättigung
  7. Kümmere dich um deine Gefühle
  8. Lern, deinen Körper zu akzeptieren & respektieren
  9. Beweg dich
  10. Schätze deine Gesundheit – ernähre dich sanft

Gleich zuerst: Das sind sinnvolle Prinzipien.

Nur wird hier einiges übersehen.

Intuitives Essen zum Abnehmen

Intuitiven Essen zum Abnehmen wird beworben als ein “mehr auf unser Bauchgefühl hören”. Statt Kalorienzählen oder Regeln zu befolgen, hören wir auf die natürlichen Sättigungssignale unseres Körpers.

Wir sollen uns so bei den Mahlzeiten das gönnen, worauf wir wirklich Lust haben. Das ganze soll aufgrund von einer besseren Achtsamkeit für unser Sättigungsgefühl und für unsere Hungersignale funktionieren. Es wäre so keine bestimmte Ernährungsform nötig – nur mehr auf den Körper zu hören.

Warum viele gar keine Wahl haben als mit intuitivem Essen zuzunehmen

Recherchierst du zum intuitiven Essen, findest du auch oft eine Beweisführung, die ungefähr so läuft: natürlich schlanke Menschen essen ohne Verzicht, ohne Kalorienzählen und indem sie auf ihre Intuition hören. Also mach das auch, um genauso schlank zu werden.

Es ist ganz simpel: “natürlich schlanken Menschen” lernen zu wollen, ist als würdest du von “reichen Erben” Geld verdienen lernen wollen.

Jemand, der sich sein eigenes Geld verdient, der hat Geld. Jemand, der es vererbt bekommen hat auch.

Da ist eben noch mehr anders als es auf den ersten Blick scheint.

Unser Körper und vor allem unser Gehirn ist dafür gemacht, uns vor dem Verhungern zu schützen. Aber in unterschiedlichem Ausmaß.

Wenn es einer Person (den “natürlich schlanken Menschen”) sehr schwer fällt 20 kg zuzunehmen – ist das für jemand anderen ganz leicht.

Die, die es schwer haben, abzunehmen:

  • können endlos und mit Genuss essen
  • Vergessen, was sie gegessen haben
  • Essen gerne nebenher
  • Essen bei Stress, schwierigen Situationen, Einsamkeit und auch bei Freude
  • Fühlen sich öfter erschöpft und energielos
  • Empfinden Bewegung als schmerzhaft und lästig

Andersherum ist das bei Menschen, die es leicht haben abzunehmen und schlank zu bleiben:

  • fühlen sich schnell voll
  • Vergessen, dass sie schon länger nichts gegessen haben
  • Essen, nur wenn sie wirklich Hunger haben – selten zum Vergnügen
  • bei Stress, schwierigen Situationen, Einsamkeit und auch bei Freude – haben sie keinen Appetit – und nehmen sogar oft ungeplant ab
  • Fühlen sich voller Energie – sie müssen sich sogar bewegen um sich nicht rastlos zu fühlen
  • Genießen Sport und Bewegung

Sie bekommen also grundlegend andere Signale und Reaktionen von ihrem Kopf und Körper.

Wenn dir schlecht werden würde beim Essen, statt dass du voller Genuss weiteressen würdest – wie schwer würde dir dann eine Abnahme fallen?

Was sagt dir da jeweils deine Intuition?

Kein Wunder, dass sie nie mehr als ein paar Kilos zunehmen – und diese dann auch wieder leicht verlieren.

Sind Diäten nicht das Problem? Ja und nein – denn eine “ich mache eine Diät und dann esse ich normal”-Einstellung ist das echte Problem.

Mehr darüber in diesem Artikel – dort wird erklärt, wie Magen, Darm, Gehirn, Nervenbahnen und Hormone zusammen ein System bilden, das unseren Hunger steuert.

Warum hinter “Selbstliebe” toxische Positivität stecken kann

Selbstliebe kann ja erstmal nicht schlecht sein. Oder?

Im Rahmen einer intuitiven Ernährung wird oft zu mehr Selbstliebe geraten.

Liebe dich – liebe deinen Körper.

Du musst dich nur genug lieben und dann machst du schon das Richtige für dich. Das ist eine sehr optimistische Einstellung.

Optimistisch zu sein kann viele Vorteile mit sich bringen. Denn wenn du aus unbegründeter Angst Veränderung aufschiebt und keine Risiken eingehst, dann wirst du vermutlich weniger erfolgreich bleiben.

Wer sich dafür interessiert, kann sich näher mit den Arbeiten von Martin Seligman auf dessen Arbeit die “Positive Psychologie” fußt.

Aber das Problem mit “Denk positiv.” ist folgendes: es minimiert negative Gefühle und Erleben. Es versucht einen großen Teil unseres Innenlebens wegzudrücken.

Das kann auch für die Anbieter sehr nützlich sein, wenn du scheiterst oder kritisierst: “Du hast das falsche Mindset!” Das ist dann sehr nützlich für einen Anbieter, weil die Verantwortung für die Kontrolle abgegeben wird.

Du, nur du, hast die Kontrolle – und damit auch die Schuld.

Aber wie bei allem: die Dosis macht das Gift.

Stell es dir wie ein Kontinuum vor:

Toxisch positiv < —– optimistisch —- pessimistisch —– > toxisch negativ

Was jetzt wirklich nützlicher ist, hängt immer an der Situation.

In einer gefährlichen Situation, in der du dauerhaften Schaden nehmen kannst, zahlt sich Pessimismus aus. Würdest du dich hochgradig verschulden, einen Arm verlieren oder bleibende psychische Schäden erleiden, hilft dir Pessimismus wesentlich mehr als zu viel Optimismus.

Je mehr Kontrolle du tatsächlich hast und je geringer die tatsächliche (nicht gefühlte!) Gefahr für dich, desto mehr wird dir eine optimistische Haltung helfen.

Eine Buchempfehlung ist dazu: The Antidote.

Für wen intuitives Essen sehr gut funktioniert

Kurzum: für solche Menschen, die ihre Ernährung erfolgreich, aber zwanghaft reguliert haben. Also Fitnessmodels, Bodybuilder und viele Influencer, die zwanghaft nach Plan gegessen haben. Nicht nach Plan zu essen, kann hier viel Angst auslösen – dementsprechend funktioniert so eine kontrollierte Vorgehensweise viel besser als ein freies Essen nach Lust und Situation.

Für diese Menschen ist Fitness nicht nur ein Lifestyle – er ist eine Religion. Er gibt Sinn, Anerkennung und Zugehörigkeit. Oft mit einem falschen Selbstbild. Die Herzchen und aufgerichteten Daumen befeuern den Fokus auf der perfekten Ernährung – ohne auf die anderen Bedürfnisse zu achten.

Da die Angst so groß ist vom Plan abzuweichen – man will ja auf keinen Fall zunehmen oder eine schlechte Form haben – da fällt der Verzicht leicht.

Diesen Personen ist absolut klar, wie viel Kalorien oder Nährstoffe, wo drin sind – und sie haben oft Jahrelang (wenn nicht jahrzehntelang) antrainiert auf eine gewisse Art zu essen. Hier sind alle wichtigen Fähigkeiten und Gewohnheiten fest antrainiert.

Wenn diese Menschen jetzt anfangen mehr auf ihr Hungergefühl zu hören und sich selber positiver wahrzunehmen – sich weniger Vorwürfe und weniger Druck machen auf eine bestimmte Art zu essen oder auszusehen – dann erleben sie eine Erleichterung.

Statt auf Druck und Zwang zu setzen, fühlen sie sich jetzt freier bei der Auswahl der Lebensmittel, sind freier im Alltag und verbessern ihr Selbstbild. Sie definieren sich weniger über das außen und mehr darüber wie sie sich fühlen und was sie wollen.

Kein Wunder also, dass eine derartige Ernährungsweise sich z. B. auf Instagram schnell ausbreitet und man den eigenen Followern überschwänglich davon berichtet.

Das Problem hier: die Follower haben oft diese Fähigkeiten und Gewohnheiten noch nicht. Sonst würden sie ja nicht einem Fitness-Influencer folgen.

Und wenn du beim intuitiven Essen wieder zugenommen hast – dann fehlen sie dir auch noch.

Was ich anstelle intuitivem Essen empfehle, um dauerhaft abzunehmen (auch ohne lebenslang Kalorien zu zählen)

Was ich stattdessen ist eine Umstellung der Lebensgewohnheiten – und vor allem eine Ernährungsumstellung.

Das geht nur, indem du eine Balance findest. Zwischen Verstand und Gefühlen.

Eine Balance mit Richtlinien, die dir Stabilität und Sicherheit geben – und einem besseren Verständnis für deinen Kopf und Körper.

Die Intuition, die hier funktioniert ist.

Eine trainierte Intuition.

Dein Körper weiß nicht, was er braucht. Aber du kannst es lernen und ihm das zu geben. Und deinen Geschmack gezielt in eine Richtung entwickeln, dass du das Essen willst, was dir wirklich guttut.

Aber diese Vorstellung ist eine Fantasie. Der Körper gibt dir Signale, aber lernen die zu interpretieren und gut funktionierende Lösungen für deinen Alltag, deinen Kopf und deine Gesundheit zu finden – die Verantwortung liegt bei dir.

Es gibt keine reine Intuition, was dein Körper braucht. Was du isst oder essen willst, wird von deinem Körper, dem Gehirn und sogar dem Essverhalten der Leute um uns herum beeinflusst.

Oft gilt es eine Lösung für emotionales Essen zu finden. Da gilt es Gefühle und Bedürfnisse erkennen und besser befriedigen als essen. Daher kommt auch der meiste Appetit.

Der Schlüssel für eine nachhaltige Abnahme ist es selber zu entscheiden, was sinnvoll ist – und es nicht den Gefühlen oder der Intuition überlassen.

Für deine Psyche und Erziehung passend – nicht du dich an die Regeln anpassen, sondern deine Vorgehensweise an dich. Das geht, nur wenn du es wirklich begriffen hast – was beim Abnehmen wichtig ist und wie es in deinem Leben umsetzbar ist.

Dann hast du deinen eigenen Weg gefunden – und kannst ihn lebenslang gehen. Ich erlebe das immer wieder mit Klienten, dass das der Schlüssel ist.

Falls du zugenommen hast durch intuitives Essen und jetzt Hilfe willst, um deinen eigenen Weg zu finden – dann lass uns sprechen.